TAKO – Kunst, die berührt werden will, um zu bewegen.
Bärbel Frank ist Künstlerin und beschäftigt sich seit vielen Jahren mit dem taktilen Erleben ihrer Arbeiten. Die gestalteten Objekte, Collagen oder Wand- und Rauminstallationen werden von Kunstinteressierten auf unterschiedliche Weise wahrgenommen. Anders als in den meisten Ausstellungen hat Bärbel Frank das „Bitte Nicht Anfassen!“-Gebot aufgehoben. Neben dem rein visuellen Erfahren wünscht sie sich vor allem eine haptische Auseinandersetzung mit den Exponaten.
Zuvor hatte die gelernte Bauzeichnerin 37 Jahre in Architekturbüros, Werbeagenturen oder einem Verlag gearbeitet. Eine Augenerkrankung, die ihr Sehvermögen fortwährend stark einschränkt, erforderte einen Wandel ihrer gewohnten Alltagsrealität und veränderte den Blick auf das Leben. Nach einer beruflichen Reha arbeitete sie in einer Feldstudie des Ministeriums für Arbeit und Soziales zum Thema Sehbehinderung und Blindheit im Arbeitsleben. Die erschütternden Ergebnisse sensibilisierten sie noch zusätzlich für die besonderen Herausforderungen für Menschen mit Handicap.
Interview
Bärbel, dein beruflicher Werdegang trägt eine eindeutig kreative Handschrift. Warst du schon immer künstlerisch aktiv?
Die Fähigkeit kreativ zu denken, hilft uns ja in vielen Bereichen weiter und ich konnte mich glücklicherweise schon während meiner beruflichen Tätigkeit im Hochbau ausprobieren. Mich hat der Transformationsprozess vom Neubau bis zum Denkmalschutz immer sehr fasziniert. Wenn aus sanierungsbedürftigen 70er-Jahre Häuserzeilen Wohnraum entsteht, der nicht nur die Lebensqualität verbessern soll, sondern darüber hinaus auch den Ansprüchen einer modernen Gegenwartsarchitektur gerecht wird. Einflüsse wie Klimawandel, der Umbau der Innenstädte oder der Umgang mit alter Bausubstanz sind Herausforderungen, denen der Mensch sich als ehrgeiziges Chamäleon stellen muss. Meine Kreativität hat mir bei der Umsetzung vieler Projekte weitergeholfen, auch wenn das manchmal heißt, dass man improvisieren muss.
Doch dann nahm das rein künstlerische Schaffen immer mehr Raum ein, oder?
Die künstlerische Umsetzung eigener Werke begann erst mit einer vorübergehenden Vollerblindung. Da fing ich an Strukturen auf Holz zu kleben und fand so einen eigenen Zugang zur Kunst. Meine geklebten Strukturen erinnerten an bewegte Wasseroberflächen. Ein neuer Lebensabschnitt in jeder Hinsicht, der verdeutlichte, was Kunst alles bewirken kann. Aus dem haptischen Kunsterlebnis entwickelte sich nach und nach meine eigene künstlerische Handschrift und der Austausch mit anderen Kunstschaffenden, was dann wiederum zu barrierefreien Gruppenausstellungen führte.
Auf was für Kunsterfahrungen dürfen Besuchende sich in deinen Ausstellungen und Führungen freuen?
Aktuell erstelle ich Rauminstallationen, also zeitgenössische Kunst und versuche zu demonstrieren, wie eine alltägliche und laute Geräuschkulisse sich auf unsere Gesundheit auswirkt. So arbeite ich zum Beispiel mit Geräusch- oder Klangkompositionen, die im Tonstudio aufgenommen werden. Gelegentlich nutze ich auch wohlriechende Düfte in meinen Ausstellungen. Die so ausgelösten positiven Empfindungen kommen bei den Besuchenden sehr gut an. Mir gefällt dabei besonders, dass man sich spielerisch mit meinen Arbeiten beschäftigt. Ich mag es auf jeden Fall kleine Überraschungen einzubauen. Ein Kurator aus Bayreuth sprach von einer derart intensiven Auseinandersetzung der Kunstinteressierten mit meinem Wollobjekt, dass es nach Abbau der Ausstellung doch recht „ZERLIEBT“ aussah. Ganze Schulklassen wären durchgerauscht. Das ist doch ein großartiges Kompliment an mein Duftobjekt.
Was wünscht du dir in Hinblick auf die Kunst aber auch auf die Gesellschaft? Gibt es eine Botschaft?
Unbedingt! Wenn ich durch meine Ausstellungen Empathie und eine bessere Verständigung untereinander vermitteln kann, ist schon viel erreicht. Falsche und fehlgeleitete Vorstellungen können revidiert und verändert werden. Kunstausstellungen barrierefrei zu gestalten oder zumindest für alle zugänglich zu machen, bewirkt im Grunde genommen einen zusätzlichen Nutzen für ältere Menschen oder Familien mit Kindern.
In Sachen Teilhabe und Gleichstellung können wir von unserer Europäischen Nachbarn noch so einiges lernen. Auffällig ist dabei eine andere Wertschätzung im Umgang mit denjenigen, die von Behinderung betroffen sind. Z.B. der Arbeitsplatz: Obwohl der Leistungsdruck in europäischen Unternehmen sicherlich ähnlich hoch ist, bekommen Menschen mit Handicap dort eher einen Arbeitsplatz.
Die Kunst hat nicht selten eine Vordenkerrolle, gibt Denkanstöße und kann zum Umlenken gegen Ausgrenzung und Intoleranz beitragen. Aber dieses Umdenken muss sowohl gesamtgesellschaftlich als auch politisch gewollt sein, damit die dringend erforderlichen Veränderungen umgesetzt werden können.
Danke für diese spannenden Einblicke in deine beispiellose Arbeit, liebe Bärbel! Das buchstäbliche Herantasten an ungeahnte Erfahrungen und Emotionen kann hoffentlich im Mikro- wie auch im Makokosmos einem wünschenswerten Wandel in Gang setzen. Eine Veränderung hin zu mehr Vielfalt und kreativen Ideen für Alle.
Das Interview mit Bärbel Frank führte die Autorin, Bloggerin, Kolumnistin und Disability-Aktivistin Sophie von Stockhausen, die 2023 ihr Buch „Mit einem lachenden Auge“ veröffentlichte. Infos unter https://sophiestockhausen.de
https://www.pottlinse.de/ Videobeitrag Carsten Wisniewski